Wie lese ich wissenschaftliche Texte für ein Schreibprojekt?

Das Lesen wissenschaftlicher Texte ist eine kognitiv sehr anspruchsvolle Aufgabe. Gerade für Studienanfänger*innen stellt sich daher die Frage, wie sie an wissenschaftliche Texte herantreten sollen. Dazu ist es notwendig, sich bewusst zu machen, dass das Alltagslesen und das Lesen wissenschaftlicher Texte sich unterscheiden. Alltagslesen kann der bloßen Informationsaufnahme oder der Unterhaltung dienen, das Lesen wissenschaftlicher Texte hingegen ist in der Regel mit einem fachlichen Ziel verbunden (häufig Erkenntnisgewinn und Informationsvernetzung).

Viele Studienanfänger*innen verfallen beim Lesen wissenschaftlicher Texte oft in einen sogenannten "default Modus", bei dem sie sich vornehmen, jeden Text von Anfang bis Ende zu lesen, weil ja grundsätzlich alles wichtig sein könnte. Dies kann bei der überwältigenden Menge an vorhandener Literatur und der häufig für universitäre Schreibprojekte vorgegebenen kurzen Bearbeitungszeit zu Problemen führen. Wichtig ist daher, sich mit dem Ziel der Lektüre und verschiedenen Lesetechniken auseinander zusetzen.

Unterschiedliche Textsorten werden von uns unterschiedlich gelesen einen Roman lesen wir anders als einen Fachtext. Dies tun wir, weil wir mit dem Lesen der unterschiedlichen Texte unterschiedliche Ziele verbinden. Gerade für Studienanfänger*innen ist es wichtig, sich diese Ziele vor Augen zu führen: Erster und wichtigster Schritt vor dem Lesen ist es somit, sich ein Leseziel zu setzen.

Mögliche Ziele können z. B. sein (vgl. Lange 2013, S. 25):

  • Einen Text für eine Seminardiskussion vorbereiten
  • Prüfen, ob ein Text zu einem Thema passt
  • Sich einen Überblick über ein Thema verschaffen
  • Sich kritisch mit einem Text auseinandersetzen
  • Einen theoretischen Grundlagentext gründlich verstehen und nachvollziehen

Zwar gibt es nicht die eine Lesetechnik, die für alle Menschen, Leseziele, Lese und Arbeitsbedingungen passt, aber es gibt verschiedene Ansätze, die helfen können, die unterschiedlichen Ziele zu erreichen. Exemplarisch sollen zwei relevante Lesestrategien vorgestellt werden.

Beim sichtenden bzw. selektiven Lesen geht es darum, einen Text daraufhin zu analysieren, ob er für ein bestimmtes Thema nützlich ist. Dies ist häufig eine der ersten Techniken, die ihr anwendet, wenn ihr Texte für eure Schreibprojekte untersucht. Diese Technik ist besonders dann hilfreich , wenn ihr bei einer ersten Recherche zum Thema eine Vielzahl an Texten gefunden habt und nun entscheiden müsst, ob ihr diese genauer lesen wollt.

Für das sichtende Lesen überlegt ihr euch zunächst Fragen oder Schlagworte zum Thema. Wenn ihr bspw. eine Arbeit Zum Klimawandel und der Erderwärmung schreibt, könnte das sein: Welche Ursachen und Folgen hat die Erderwärmung? Treibhausgase, Industrie, Erwärmung der Meere, Polkappen, Hitzewellen

Man braucht den Text nicht komplett zu lesen, sondern kann sich erst einmal auf Textelemente konzentrieren, die einen guten Überblick bieten, z. B.:

  • Titel/Untertitel
  • Einzelne Kapitel
  • Inhaltsverzeichnis (Kapitelüberschriften)
  • Abstract
  • Einleitung/Fazit
  • Stichwortverzeichnis

Diese Textteile können jetzt gezielt nach den festgelegten Schlagworten durchsucht werden. Die Augen können dabei den Text bloß überfliegen. Es geht nicht darum, Wissen zu generieren, sondern die festgelegten Schlagworte zu finden und somit zu entscheiden, ob der Text für eine genauere Analyse geeignet ist. Gerade bei Monographien entwickelt sich das zu einem selektiven Durchblättern, das aber eine hohe Konzentration erfordert. Bei längeren Texten ist es dabei hilfreich, sich Stellen zu markieren, die auf die fest gelegten Worte/Fragen passen. Wenn es sich um elektronische Texte handelt, kann man häufig über die Kombination STRG+F die Suchfunktion nutzen und gezielt nach den Schlagworten filtern.

Ziel dieser Lesestrategie ist es, die zuvor als relevant erkannten Texte in allen Einzelheiten zu verstehen. Das bedeutet Aufbau und Argumentation zu erfassen sowie zu einer kritischen Einschätzung des Inhalts zu gelangen und die für einen wichtigen Inhalte rekapitulieren zu können.

Um dieses Ziel zu erreichen, ist es vielfach notwendig neben dem reinen Lesen weitere Handlungen durchzuführen. So kann es nötig sein, unbekannte Begriffe nachzuschlagen oder zusätzliche Informationen zu beschaffen. Förderlich für das Verständnis ist es häufig den Text sichtbar zu bearbeiten, etwa durch Randnotizen oder Unterstreichungen. Je nach Thema, Fach und Text kann hierzu auch das Anfertigen von Zeichnungen oder Berechnungen zählen. Ebenfalls sinnvoll ist es , wenn ihr euch die wichtigsten inhaltlichen Informationen notiert, Fragen formuliert oder kritische Kommentare zum Text verfasst. Diese Exzerpte erleichtern vor allem bei einer großen Menge von Texten die Arbeit da Informationen und deren Quellen so leichter wiederzufinden sind.

An die Lesephase sollte eine Rekapitulationsphase anschließen, bei der das Gelesene in den Kontext des Themas, zu anderen Texten und zu den eigenen Gedanken gestellt wird. Diese Rekapitulation kann schriftlich oder auch mündlich z.B. durch Diskussionen erfolgen.

Lange, U. (2013), Fachtexte. Lesen verstehen wiedergeben, UTB

Gußen, L. (2020), Wissenschaftliches Arbeiten im Jurastudium, UTB