Ein Herz so groß wie ein Stecknadelkopf

Mit ruhiger Hand platziert Dr. Christian Meyer die Fruchtfliegenlarve unter dem Mikroskop. Im Labor schwebt permanent ein leichter Geruch von Hefe, wovon sich die Larven ernähren. Meyer beugt sich leicht nach vorne und schaut durchs Mikroskop. Dort ist es deutlich zu erkennen: Das Herz der Larve leuchtet in fluoreszierendem grün und pulsiert. Wie ein kleiner Ballon weitet es sich und zieht sich wieder zusammen. Es schlägt in einem schnellen, regelmäßigen Rhythmus bis es plötzlich stockt. Dann setzt es wieder ein.

 

Für die genaue Untersuchung einer Larve muss der Biologe viel berücksichtigen: eine Antikörperfärbung mit Fluoreszenzfarbstoffen, eine genetisch passende Larve im richtigen Entwicklungsstadium, eine mikroskopische Betrachtung unter verschiedenen Wellenlängen und viel Feinmotorik. Für den Biologen ist das Alltag. Der 31-Jährige ist seit sechs Jahren Teil der Arbeitsgruppe Zoologie und Entwicklungsbiologie an der Uni Osnabrück und forscht unter der Leitung von Prof. Dr. Achim Paululat zum Thema: „Entwicklung und Funktion von Herzklappenzellen bei Drosophila melanogaster – das ist der lateinische Name der Fruchtfliege.

© Stina Koch | Universität Osnabrück
Dr. Christan Meyer bei der Arbeit im Labor.

Meyer möchte herausfinden, wie die Herzklappen der Fruchtfliegen funktionieren. Seine Erkenntnisse sind dabei auch für die Humanmedizin relevant: „Das Herz eines Insekts unterscheidet sich äußerlich zwar sehr von dem eines Menschen und anderer Wirbeltiere, aber die grundlegenden molekularen und zellulären Mechanismen der Herzfunktion sind sich dennoch äußerst ähnlich, man kann sogar oft sagen, gleich“ erklärt Meyer. „So können Krankheitsbilder in der Fliege schneller untersucht und aufgeklärt werden, um dann die Ergebnisse auf die Situation im Menschen zu übertragen.“ Die Arbeitsgruppe konnte bereits erfolgreich Gene identifizieren, die für die Bildung der Herzklappe wichtig sind. Auch das Verständnis für menschliche Herz-Kreislauf-Erkrankungen konnte durch die Forschung bereits verbessert werden.

Über 2.000 Fliegenstämme in der Uni Osnabrück

Als er mir seine Arbeit zeigt, wechseln wir zwischen den Laboren hin und her. Eine der ersten Stationen ist die Fliegenstammsammlung. Die Sammlung der Uni Osnabrück beherbergt über 2.000 Fliegenstämme. Um einzelne Gene zu identifizieren, die für die Bildung der Herzzellen wichtig sind, ist die genetische Abstammung der Fruchtfliege ein entscheidender Faktor in der Forschung. Deshalb arbeiten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit genetisch veränderten Organismen. Hier können sie gezielt Gene an- oder ausschalten und damit Rückschlüsse auf die Herzfunktion der einzelnen Gene ziehen.

Durch eine dicke, schwere Tür betreten wir die Sammlung. Rohre unterhalb der Decke stoßen in regelmäßigen Abständen kleine Wolken mit Wasserdampf aus. 18 Grad Celsius und konstante Luftfeuchtigkeit benötigen die Fliegenlarven für ihre Entwicklung. Im Raum stapeln sich graue Kisten – darin Gläser und jede Menge Leben. Der Boden der schmalen Gläser ist bedeckt mit einer dickflüssigen, beigen Masse: Fliegenbrei. Hauptsächlich hergestellt aus Agar, Maismehl und Fructose ist es Zuhause und Nahrung der Fliegenlarven zugleich. An den Wänden der Gläser kleben braune und weiße Larven, dazwischen schwirren erwachsene Fruchtfliegen.

Um die gesamte Sammlung kümmern sich technische Angestellte. Tag für Tag klopfen sie die Fliegen in neue Gläser um und bereiten den Brei zu. Wenn dann doch nicht der richtige Fliegenstamm vor Ort ist, muss dieser bestellt werden. Aus Wien, den USA oder sogar Tokio.

Hefegeruch und Unterdruck im Fliegenraum

Von der Fliegenstammsammlung geht es für uns weiter in den Fliegenraum, wie er von Meyer und seinen Kolleginnen und Kollegen genannt wird. Im großen, hellen Labor mit mehreren Arbeitsplätzen und Mikroskopen erwartet uns wieder ein leichter Hefegeruch. Dr. Christian Meyer setzt sich an einen freien Platz und klopft routiniert einige Fliegenlarven in ein vorbereitetes Glas mit frischem Fliegenbrei, dabei sucht er nach einer Larve im richtigen Entwicklungsstadium.

Damit die schon entwickelten Fruchtfliegen beim Umklopfen nicht entwischen, herrschen im Fliegenraum besondere Sicherheitsmaßnahmen: Duftköder, mit Sieben verschlossene Lüftungsschächte und mehr sind wichtige Schutzmaßnahmen, da die genetisch veränderten Organismen das Labor nicht verlassen dürfen. Überlebensfähig sind die Laborfliegen in freier Wildbahn jedoch kaum; über Jahrzehnte für die Forschung gezüchtet, sind sie durch ihre Mutationen nicht gerüstet für ein Leben außerhalb des Labors.

Präparieren auf wenigen Millimetern

Meyer hat eine passende Larve gefunden. Eigentlich präpariert er vormittags. Seine Hände sind dann ruhiger. Verrutscht er um einen Millimeter, könnte er das Herz verletzten - das Experiment wäre damit gescheitert. Heute Nachmittag verläuft alles nach Plan. Aufrecht und konzentriert sitzt der Biologe vor dem Mikroskop. Mit einem Pinsel positioniert er die kleine Fliegenlarve in der Petrischale vor ihm. Durch die weiße, fast transparente Haut hindurch lässt sich das winzige Herz durch das Mikroskop erkennen. Mit minimalen Bewegungen dreht Christian Meyer die Larve in Rückenlage und betäubt sie. Eine Arbeit, die Geduld erfordert – und präzise Handarbeit. Mit einer Pinzette und einer winzigen Schere schneidet er die drei Millimeter kleine Larve auf. Das Herz befindet sich auf der Rückseite. Nach einem Schnitt längst und quer an den Enden lässt sich die Larve aufklappen und mit den hauchfeinen Präpariernadeln feststecken. Vorsichtig legt Christian Meyer das Herz der Larve frei. Jetzt kann er unter einem Fluoreszenzmikrosop beobachten, wie das Herz und die Herzklappen arbeiten. Durch die besondere genetische Veranlagung der Larve und die passende Wellenlänge des Mikroskops lassen sich die Herzzellen in einem fluoreszierenden Grün sichtbar machen. Von seinem Experiment nimmt er ein Highspeedvideo auf - für eine spätere Analyse.

Was auf den ersten Blick brachial erscheint, ist ein über Jahre hinweg erprobtes Vorgehen. Unter sorgfältiger Berücksichtigung aller rechtlichen Tierschutzvorgaben arbeitet die Arbeitsgruppe Zoologie und Entwicklungsbiologie an ihrer Forschung. Noch ist die Arbeit mit lebenden Organismen für die Erforschung von komplexen Mechanismen wie etwa die Analyse von Fehlfunktionen der Herzklappe alternativlos.

Immer noch begeistert von der greifbaren Forschung

So mühsam die Arbeit auch klingt – sobald Meyer von seiner Forschung spricht, schaut er mich begeistert an. Der junge Biologe kann sich auch weiterhin die Arbeit mit den Fruchtfliegen gut vorstellen: „Ich habe da Riesenspaß dran und ich mache das gerne, so kleine Fisselarbeiten. Ich möchte etwas Greifbares haben, das ich auch richtig sehen kann.“

Weitere Informationen zu Tieren in Forschung und Lehre an der Uni Osnabrück unter:  https://www.uni-osnabrueck.de/tiere-in-forschung-und-lehre/