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Interview mit Dr. Sven Jürgensen

Portrait von Sven Jürgensen, Pressesprecher der Stadt Osnabrück

Der Osnabrücker Stadtpressesprecher und Lehrbeauftragte der Uni Dr. Jürgensen hat Sie ein Seminar zu Schellings Freiheitsabhandlung für Studierende des Instituts für Philosophie abgehalten. Und zwar in ungewöhnlicher Form. Lesen Sie im Interview, worum es ging:

Herr Dr. Jürgensen, Sie haben ein Seminar zu Schellings Freiheitsabhandlung für Studierende des Instituts für Philosophie abgehalten. Worum ging es da konkret?

Es war ein Zufall, dass ich ausgerechnet in der Zeit des ersten Lockdowns im Sommersemester 2020 Schellings berühmte Freiheitsabhandlung, „Philosophische Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit und die damit zusammenhängenden Gegenstände“ von 1809, im Seminar durchgesprochen habe. Die anhebende Corona-Pandemie mit den um unsere Freiheit besorgten Diskussionen waren dann die Begleitumstände für die Lektüre einer Abhandlung, die es mit der menschlichen Freiheit zu tun hat. Die Lektüre der Freiheitsabhandlung soll die Sehnsucht nach der Freiheit verdeutlichen, die uns in dieser Zeit als ein hohes und sensibles, nicht selbstverständliches Gut erschienen ist.

Da dieses Seminar ja virtuell stattfand haben Sie sich eine besondere Form ausgedacht, wie lief das konkret ab?

Wegen das Lockdowns hatte ich mich damals entschieden, den Studenten per E-Mail Briefe zu schreiben. Statt also im Seminar die Studierenden zu treffen, statt ihnen virtuell auf dem Bildschirm zu begegnen, habe ich Woche für Woche Briefe an eine fingierte Adressatin geschrieben: „Liebe:Sophie“. 12 Briefe sind auf diese Weise entstanden, in denen ich Sophie den Text und meine Fragen an den Text erläutere. Flankiert und zusammengehalten werden diese Briefe von zwei Essays über zwei Autoren, die wohl unterschiedlicher nicht sein können: Jorge Semprun, als junger Mann Mitglied der Kommunistischen Partei Spaniens, erinnert sich in seinem Buch „Der Tote mit meinem Namen“ an den Winter 1944 im Konzentrationslager Buchenwald, in dem Schellings Freiheitsabhandlung genannt und zu einem Floß des Überlebens wird. Er ist in dem Jahr mit seiner Familie vor dem spanischen Bürgerkrieg geflohen – 1936 –, als Martin Heidegger seine Vorlesung über Schellings Freiheitsabhandlung hält. Mit dieser Vorlesung beschäftigt sich der zweite Essay.

Und wie waren Ihre Erfahrungen? Kam das gut an bei den Studierenden?

Dass aus diesen Briefen ein Buch werden würde, hatte ich zunächst nicht geplant. Die Anregung verdanke ich der warmherzigen E-Mail einer Studentin. Erst diese Mail brachte mich auf den Gedanken, den ich ohne den Passagen-Verlag aber nicht hätte verwirklichen können. Und nun ist es da: „Liebe:Sophie Briefe aus dem Lockdown über Schellings Freiheitsabhandlung“. Sehr gefreut habe ich mich darüber, dass die deutsch-amerikanische Künstlerin Maria Bussmann sich unter die Adressaten gemischt und die Briefe mit ihren Zeichnungen kommentiert hat. Sie hat die Lektüre in ein eigenes Licht gestellt, so dass auch durch ihre Zeichnungen die Corona-Pandemie ihren Weg in die Auseinandersetzung mit Schelling gefunden hat.

Planen Sie, diese besondere Form noch einmal anzubieten?

Das hängt von verschiedenen Umständen ab. Einerseits ist das Gespräch durch die Schrift nicht zu ersetzen. Andererseits ist die antiquierte Form des Briefes doch ein schönes Mittel, um die Gedanken zu ordnen und zu adressieren und einer weiteren Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen.

Sven Jürgensen, Marie Bussmann: "Liebe:Sophie. Briefe aus dem Lockdown über Schellings Freiheitsabhandlung", Passagen Verlag 2021, 12.90 Euro