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Pressemeldung

Nr. 225 / 2016

07. November 2016 : Abhängigkeit kann ein evolutionärer Vorteil sein: Biologen untersuchten Umweltverhalten von Bakterien

Es ist eine weitverbreitete Annahme, dass es für Lebewesen vorteilhaft ist, möglichst unabhängig von anderen zu sein. Einem Forscherteam des Max-Planck-Instituts für chemische Ökologie Jena um dem jetzt an der Universität Osnabrück tätigen Biologen Prof. Dr. Christian Kost ist es nun gelungen, experimentell zu zeigen, dass es für Bakterien sinnvoll sein kann ihre Autonomie zur Herstellung von Stoffen aufzugeben und sich von anderen abhängig zu machen.

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© Grafik / Universität Osnabrück; MPI Jen

Durch natürliche Auslese entstehen metabolische Abhängigkeiten. Die ursprünglich unabhängige Population des Bakteriums Escherichia coli (linke Seite) spaltet sich auf in zwei genetisch unterschiedliche Teilpopulationen (rechte Seite): eine, die weiterhin unabhängig ist und sämtliche Metaboliten selbstständig herstellen kann (vollständige Zellen), und eine, die bestimmte Fähigkeiten verloren hat (offene Zellen). Die so neu entstandenen Zellen werden von den metabolisch autonomen Zellen abhängig, da diese die Stoffe, wie beispielsweise Aminosäuren (Dreieck, Kreis und Quadrat), produzieren, die sie zum Überleben brauchen. Grafik: Glen D’Souza, Christian Kost, Max-Planck-Institut für chemische Ökologie / Universität Osnabrück

Dies bedeutet, dass nicht nur der Erwerb neuer Eigenschaften, sondern auch der Verlust von bestimmten Fähigkeiten die evolutionäre Anpassung von Bakterien an die Umwelt – und möglicherweise auch anderen Organismen – vorantreibt. Ihre Ergebnisse haben sie nun in einem renommierten Journal veröffentlicht.

Zum Hintergrund: Durch natürliche Auslese entstehen metabolische Abhängigkeiten. Die ursprünglich unabhängige Population des Bakteriums Escherichia coli spaltet sich auf in zwei genetisch unterschiedliche Teilpopulationen: eine, die weiterhin unabhängig ist und sämtliche Metaboliten selbstständig herstellen kann (vollständige Zellen), und eine, die bestimmte Fähigkeiten verloren haben (offene Zellen). Die so neu entstandenen Zellen werden von den metabolisch autonomen Zellen abhängig, da diese die Stoffe, wie beispielsweise Aminosäuren, produzieren, die sie zum Überleben brauchen.

Es ist schon seit längerem bekannt, dass gentechnisch veränderte Bakterien, die einen bestimmten Stoff nicht mehr selbst herstellen können, diesen jedoch von Quellen in ihrer Umwelt erhalten können, deutlich besser wachsen, als Bakterien, die alles selbst herstellen. Prof. Kost wollte daher wissen, ob auch durch natürliche Selektion der Verlust von Eigenschaften begünstigt wird und Bakterien damit abhängiger von ihrer Umwelt werden. Um dieser Frage nachzugehen, kultivierten er und sein Doktorand Glen D’Souza das Darmbakterium Escherichia coli für mehrere Generationen unter optimalen Nährstoffbedingungen. Die Kultur wurde regelmäßig in frische Nährlösung überführt und bei jedem dieser Schritte wurde auch eine Probe genommen, um die Fähigkeiten der Bakterien sowie deren Erbsubstanz zu untersuchen.

Die Ergebnisse bestätigten die Vermutung: Bakterien, die ursprünglich autonom waren, verloren ihre Fähigkeiten zur Herstellung von Stoffen, wie beispielsweise Aminosäuren. Sie wurden damit von ihrer Umwelt abhängig, die mit diesen Nährstoffen angereichert war. »Zu unserer Überraschung fanden wir das gleiche Ergebnis, wenn keine Nährstoffe extern zugegeben wurden«, erläutert Glen D’Souza, Erstautor der Studie. »Die Bakterien teilten sich in zwei Gruppen: Eine Gruppe war nach wie vor autonom, während die andere von diesen autonomen Bakterien abhängig wurde, die die Stoffe noch selbst herstellen konnten.«

Der Verlust von Merkmalen wurde nicht nur bei Bakterien beobachtet, sondern ist auch für andere Gruppen von Lebewesen bekannt. So kann auch der Mensch viele Vitamine nicht selbst herstellen, sondern ist dafür auf seine Nahrung oder vitaminproduzierende Bakterien im Darm angewiesen. Auch viele Krankheitserreger brauchen für ihre Vermehrung Stoffe, die nur ihr Wirt produziert. Bisher war weitgehend unklar, warum Lebewesen in Wechselwirkung mit ihrer Umwelt ihre Selbständigkeit aufgeben und sich damit in eine Abhängigkeit von anderen Organismen begeben. Die Studie zeigt nun, dass der Verlust von Eigenschaften entwicklungsgeschichtlich vorteilhaft sein kann und dadurch die evolutionäre Anpassung vorantreibt.

»Es gab noch weitere Ergebnisse, mit denen wir nicht gerechnet haben. Die Erbsubstanz der abhängigen Bakterien war nicht nur an den Stellen verändert, die direkt an der Herstellung der Aminosäuren beteiligt sind, sondern es waren auch Gene verändert, die solche Stoffwechselprozesse über aktivierende oder hemmende Proteine steuern«, berichtet Kost. Das bedeutet, dass die gleiche Anpassung in der Bakterienpopulation auf unterschiedliche Weise erreicht werden kann. In der Studie fand sich nur eine einseitige Anpassung einer Gruppe von Bakterien, die von einer anderen abhängig wurde. Die Autoren sind sich aber sicher, dass bei einer längeren Versuchsdauer auch gegenseitige und wesentlich komplexere Abhängigkeiten entstanden wären. Das Experiment soll daher noch weiter fortgeführt werden. Natürliche Selektion hängt nicht nur von der genetischen Ausstattung, sondern auch von der Populationsgröße ab. In der Natur schwankt die Größe von Bakteriengemeinschaften sehr stark in Abhängigkeit von deren Lebensstil. Daher möchte das Team herausfinden, wie die Größe von Bakterienpopulationen die Entwicklung von Abhängigkeit und damit die Veränderung ihrer Genome beeinflusst.

Auch in anwendungsorientierten Zusammenhängen sind die Forschungsergebnisse von Interesse. Bakterielle Lebensgemeinschaften spielen eine wichtige Rolle für die Gesundheit von Menschen, Pflanzen und Tieren. Metabolische Kooperation, also die Frage, wie sich Bakterien am wechselseitigen Stoffaustausch beteiligen, könnte ein wichtiges Kriterium bei der Zusammenstellung solcher Gemeinschaften für eine Anwendung in der Landwirtschaft und auch im Gesundheitswesen sein. Bakterien könnten so ausgewählt werden, dass sie entweder das Wachstum oder die Abwehr gegen Krankheitserreger unterstützen.

Originalveröffentlichung: D’Souza, G., Kost, C. (2016). Experimental evolution of metabolic dependency in bacteria. PLOS Genetics. DOI: http://dx.doi.org/10.1371/journal.pgen.1006364

Weitere Informationen für die Redaktionen:
Prof. Dr. Christian Kost, Universität Osnabrück
Fachbereich Biologie/Chemie
Babarastraße 13, 49076 Osnabrück
Telefon: +49 541 969 2853
christian.kost@uni-osnabrueck.de