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Pressemeldung

Nr. 52 / 1996

29. April 1996 : "Die Varusschlacht war kein germanischer Nationalaufstand" - Internationaler Kongreß zum Thema "Rom, Germanien und die Ausgrabungen von Kalkriese"

"Meines Erachtens gehören die in und bei Barenau gefundenen Münzen zu dem Nachlaß der im Jahre 9 n. Chr. im Venner Moor zugrundegegangenen Armee des Varus." Zu dieser Schlußfolgerung kam der Historiker Theodor Mommsen in seinem Vortrag "Die Örtlichkeit der Varusschlacht", den er am 15. Januar 1885 vor der Preußischen Akademie der Wissenschaften in Berlin hielt. Mommsens Theorie, die auf einer scharfsinnigen Analyse der Münzfunde basierte, blieb jedoch nicht unwidersprochen. Erst die rund 2.400 römischen Funde, die gut 100 Jahre später von Archäologen bei Kalkriese im Landkreis Osnabrück freigelegt wurden, scheinen seine Überlegungen zu bestätigen. "Die erfolgreichen Grabungen haben dazu geführt, daß nun in einer breiten Öffentlichkeit die Frage diskutiert wird, inwieweit wir es mit der Hinterlassenschaft dieser kriegerischen Auseinandersetzung zwischen Römern und Germanen zu tun haben. Damit wächst allerdings auch die Gefahr, daß die Schlacht erneut zu einem germanischen Nationalaufstand gegen die römische Fremdherrschaft hochstilisiert wird. Solche nationalen, aber auch gewisse lokalpatriotische Interpretationen haben politische Brisanz", warnen der Osnabrücker Wissenschaftler Prof. Dr. Rainer Wiegels und sein Mitarbeiter Dr. Bernard van Wickevoort Crommelin vom Fachgebiet Alte Geschichte an der Universität Osnabrück. Um diesen Tendenzen wissenschaftlich entgegenzutreten und die Funde zugleich in einem größeren Zusammenhang römisch-germanischer Geschichte zu analysieren, lädt die Universität vom 2. bis 5. September 1996 zu einem internationalen Kongreß mit Wissenschaftlern aus Belgien, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, den Niederlanden, Österreich und der Schweiz ein. Geleitet wird die Tagung von Prof. Wiegels und dem Osnabrücker Kreis- und Stadtarchäologen Prof. Dr. Wolfgang Schlüter, der für die Grabungen in Kalkriese verantwortlich ist.

Als übergreifendes Thema des Kongresses haben die Organisatoren "Rom, Germanien und die Ausgrabungen von Kalkriese" gewählt. Prof. Wiegels: "Es geht uns nicht ausschließlich um die Frage, inwieweit wir es bei den Funden aus Kalkriese mit Spuren der Varusschlacht zu tun haben. Funde und Befunde sind vielmehr eingebunden in vielfältige Problemzusammenhänge der Geschichte in augusteischer Zeit. Vor allem sollen Fragen der Provinz-, der Heeres- und der Siedlungsgeschichte angesprochen werden. Dabei sind die Ausgrabungen von Kalkriese für die historische Forschung von einzigartiger Bedeutung, da vergleichbare archäologische Spuren eines Kampfplatzes aus diesem Zeitabschnitt gänzlich fehlen." Im Gegenzug erhoffen sich die Osnabrücker Althistoriker und Projektleiter Schlüter für die Fortführung von Kalkriese wichtige Anregungen von den eingeladenen Fachwissenschaftlern aus dem In- und Ausland.

Die insgesamt 32 wissenschaftlichen Vorträge des Kongresses sind sechs Sektionen zugeordnet. In der ersten Sektion sollen die Erkenntnisse von achäologischen Befunden anderer Kampfplätze am Niederrhein, in den Niederlanden und in Frankreich im Vergleich zu Kalkriese erläutert und diskutiert werden. In der zweiten Sektion mit dem Titel "Militaria der frühen Kaiserzeit" werden die Wissenschaftler ausgewählte Fundstücke, unter anderem auch aus frührömischen Lagern, vorstellen. Im Mittelpunkt der dritten Sektion stehen die bereits von Mommsen angeschnittenen Fragen der Münzfunde, die hier weiter vertieft werden sollen. Um die Okkupation im rechtsrheinischen Germanien unter Kaiser Augustus und die militärischen Anlagen vom Hochrhein bis zum Niederrhein drehen sich die Vorträge der vierten Sektion. Die Sektionen fünf und sechs des Kongresses sind dann der politischen Situation in Germanien und der augusteischen Germanienpolitik und schließlich dem Thema "Germanisches Siedlungswesen und Stammesstruktur" gewidmet. Damit soll versucht werden, auch die "andere" Seite der am Geschehen Beteiligten zu berücksichtigen.

Eröffnet wird der Kongreß mit einem Vortrag von Prof. Dr. Wolfgang Schlüter, der über den Stand der Ausgrabungen in Kalkriese informieren wird, und einer Podiumsdiskussion zu den "Perspektiven eines archäologischen Fundplatzes". Daran werden neben Prof. Schlüter auch Prof. Dr. Hans- Ulrich Nuber (Universität Freiburg), Prof. Dr. Siegmar von Schnurbein (Römisch-Germanische Kommission Frankfurt) und Prof. Dr. Dieter Timpe (Universität Würzburg) teilnehmen. Der Landschaftsverband Osnabrück und die Fördergesellschaft "Kalkriese" sind vertreten durch Dr. Josef Rottmann und Konrad Rohling.

Der diesjährige Kongreß schließt an ein erstes interdisziplinäres Kolloquium an, das 1990 an der Universität Osnabrück stattgefunden und sich mit den zahlreichen Mythen, Geschichten und Dichtungen um Arminius, den Gegenspieler von Varus, beschäftigt hat. Zum Nationalhelden "ernannt", beriefen sich schließlich auch die Nationalsozialisten auf den germanischen Heroen. "Heimatforscher", die den Ort der Varusschlacht gefunden haben wollten, hatten Konjunktur. Schon der Historiker Mommsen warnte vor einer Lokalforschung, die zu seiner Zeit mit "beliebten patriotisch-topographischen Zänkereien" geführt worden sei, erinnert Prof. Wiegels. "Durch erheblich verbesserte methodische Verfahren und Grabungstechnologien, das Zusammenwirken mit naturwissenschaftlichen Teildisziplinen wie der Archäobotanik, der Osteologie und der Bodenkunde und schließlich die systematischen, wissenschaftlich begleiteten Ausgrabungen in der Kalkrieser-Niewedder Senke ist die Altertumswissenschaft eine ganzes Stück über das von Mommsen Geleistete hinausgekommen", sagen übereinstimmend Prof. Wiegels und Prof. Schlüter.

Der Kongreß, der sich zum Teil auch an die interessierte Öffentlichkeit wendet, wird unterstützt vom Landschaftsverband Osnabrück e. V., der Gesellschaft zur Förderung der vor- und frühgeschichtlichen Ausgrabungen im Osnabrücker Land und zwei Unternehmen.

Kontaktadresse:
Prof. Dr. Rainer Wiegels, Edward Menking
Universität Osnabrück, Fachbereich Kultur- und Geowissenschaften, Fachgebiet Alte Geschichte
Schloßstraße 8, 49069 Osnabrück, Tel. (0541) 969-4387, -4395, Fax (0541) 969-4397