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Pressemeldung

Nr. 159 / 2000

29. November 2000 : Editionswissenschaft: Nicht überall, wo Goethe draufsteht, ist auch Goethe drin - Zehn Jahre editionswissenschaftlicher Aufbaustudiengang an der Universität Osnabrück

Nicht überall, wo Goethe draufsteht, ist auch Goethe drin. "Der Weg eines historischen Manuskripts zum gedruckten Buch war lang: Sekretäre, Abschreiber, Setzer, Verlagskorrektoren machten Fehler, wohlmeinende Nachkommen des Autors verbesserten oder unterdrückten, und sogar illegale Nachdrucke hatten Einfluß auf das, was zwischen die Buchdeckel gelangte. Noch komplizierter sind die Verhältnisse vor der Erfindung des Buchdrucks, als die ,Bücher‘ abgeschrieben werden mußten", sagt Prof. Dr. Winfried Woesler. Wie der Osnabrücker Germanist betont, sind "zuverlässige Texte" jedoch Voraussetzung für die literaturwissenschaftliche Arbeit – und darüber hinaus Basis der Geschichtswissenschaft, der Theologien, der Philosophie und Rechtswissenschaft. Die Urfassung eines Textes zu sichern und seine "Geschichte" zu rekonstruieren, ist Aufgabe der Editionswissenschaftler. Sie werden an der Universität Osnabrück ausgebildet. Hier wurde vor zehn Jahren als bundesweit erster seiner Art ein editionswissenschaftlicher Aufbaustudiengang eingerichtet.

Das viersemestrige, interdisziplinär angelegte Studium wendet sich an Studierende und Absolventen der Literaturwissenschaft, der Theologien, der Geschichte, der Philosophie und der Musikwissenschaft und vermittelt Kenntnisse in den Bereichen Buch- und Bibliothekswesen, Archivkunde sowie Urheber- und Verlagsrecht. Darüber hinaus geht es um Typen und Verfahrensweisen kritischer Editionen sowie das Entziffern von Handschriften. Die Praxis folgt in der selbständigen Editionsarbeit und in Kompaktseminaren in auswärtigen Literaturarchiven und Bibliotheken. Betreut wird der Studiengang von der Editionswissenschaftlichen Forschungsstelle, die unter der Leitung von Prof. Woesler am Fachbereich Sprach- und Literaturwissenschaft arbeitet. Hier sind die auch die Geschäftsstelle der Arbeitsgemeinschaft für germanistische Edition und die Redaktion der Fachzeitschrift "editio" angesiedelt. Die Universität Osnabrück sei damit ein "Knotenpunkt" im Netz der editionswissenschaftlichen Zunft, so Prof. Woesler, der Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft ist.

Wie Peter Eikenloff, Mitarbeiter im Aufbaustudiengang erläutert, ist das Fach aber nicht allein wissen-schaftlicher Dienstleister. "Unbekannte Texte eines Autors werden dem Fachmann und dem breiten Lesepublikum häufig erst über die Editionsprojekte in Archiven und Nachlässen zugänglich gemacht." Und neben der vollständigen "Historisch-kritischen Ausgabe" eines Werkes gehören auch ausgewählte Studien- oder selbst einzelne Leseausgaben wie die bekannten Reclam-Bändchen zum Geschäft des Editors. Dabei ist es jedoch auch mit dem zuverlässigen Text nicht allein getan. Der Editionswissenschaftler erläutert ungebräuchlich gewordene Ausdrücke, Anspielungen und den kulturgeschichtliche Hintergrund eines Textes insgesamt. Prof. Woesler: "So ist die Erschließung von literarischen und historischen Quellen durch eine Edition nicht nur ein wichtiger Teil wissenschaftlicher Grundlagenforschung, sondern Teil des kulturellen Lebens überhaupt."

Weitere Auskünfte zum Aufbaustudiengang, zur Promotionsmöglichkeit und zur Arbeit der Forschungsstelle erteilen Prof. Woesler und Peter Eikenloff unter Telefon (0541) 969-4168 oder -4450.